Wasserpfeife

Manchmal macht ein Geruch, der durch den Spalt eines Dachfensters hereinkommt, den ganzen Unterschied zwischen zielloser Verwirrtheit und einem gelungenen Abend aus. Ich trinke aus Gläsern mit Waffelschliff, trinke Orangina Rouge, trinke Hochprozentiges aus Fougerolles. Durch einen Zufall prasselt meine gesamte Grundschulzeit auf mich herunter, ungefragt und überraschend, schüttet sich mir in den Schoß, ein aufgeschlitzter Sack Zuneigung, Erinnerungen, Wunderlichkeiten, ein herzliches Willkommen zurück. Halbvergessenes, Orte, die ich mied. Bald werde ich Menschen aus einem anderen Leben begegnen, aus meinem vorvorvorletzten Leben ungefähr, aus einer Zeit, in der ich nur ahnen und träumen konnte. Sie werden sagen, sie hätten es schon immer gewusst, und ich werde überfordert sein. So viele, die mich länger kennen als ich mich selbst. Ich als Kind. Wieder. Immer noch. Ich nehme zwei, drei Züge aus der Wasserpfeife. Ich lasse mir eine Wunde schminken. Ich hänge an diesen und an jenen Lippen. Setze meinen Strohhut auf und schwimme hochauf, weggeschwemmt, vereinnahmt, halb aufgelöst, in den Wellen schöner Menschen.

Sommerfett

Nach Monaten ohne Gitarre spiele ich wieder auf den Stahlsaiten. Meine Finger tun weh, der Klang schwirrt im Kopf nach, legt sich wie ein Fotofilter über meine Sicht. Viel zu selten spüre ich die Wucht, die von einem fürs Schreiben reservierten Tag ausgehen kann. Außerdem gehe ich Sturmschäden besichtigen, zeichne neue Portraits, schicke eine Flaschenpost auf die Reise. Ich braue Holunderblütensirup. Ich krieche durchs Dickicht, bis meine Haut brennt von all den Gräsern, Dornen, Nesseln. Ich bin nicht allein. Wir kühlen die juckenden Beine im See. Ein kleines Gewitter, wir sitzen wie Tiere unter einem Strauch, plustern uns. Zuhause Zwiebeln schneiden und Oliven naschen. Vorm Küchenfenster wird eine Kreuzspinne fett, sommerfett.

Graswurzelduft

Ein Saal voller Abendkleider, deren Säume einander streifen. Krawatten und Fliegen, jede Menge Taft. Wir feiern das Ende, den Anfang, den jungen Sommer. Draußen an der Cocktailbar mische ich mich unter die Raucher. Drinnen auf dem Parkett wirbeln die Generationen durcheinander, Lebendigsein genügt, um teilzuhaben. Die Spanierin tanzt mit mir, der Biologielehrer, die barfüßige Künstlerin, Konversation in Körpersprache. Zum Abkühlen gehe ich Schritt für Schritt ins Dunkel hinein, vorbei an den Stehtischen, vorbei an den Pavillons, lasse den Kerzenschein hinter mir. Mit Absatzschuhen über gesprengten Rasen, Abseitsgespräche an der Tartanbahn, Abschiednehmen.
Als wolle es die Reste der Feierlichkeiten wegfegen, bricht am nächsten Tag das Unwetter herein. Nimmt versehentlich nebst Cocktailbechern, Tischdekoration und Pavillons ein paar Bäume mit, hinterlässt einen Teppich aus Blütenblättern in meinem Garten. Ich tappe durch die Pfützen, halte meine Arme tief in die Wassertonne. Zerbrochene Blumentöpfe, Graswurzelduft und eine Lunge voll Sommerregen.