Unbekanntes reizt mich. Deshalb, genau deshalb, weiß ich seit einigen Tagen, dass ich achtstündige Brettspielrunden samt einer Bibel von Regelwerk überlebe. Gerade so. Aus demselben Grund kenne ich Menschen, die ich sehr mag, denen ich aber prinzipiell nichts zu sagen habe. Fast nichts. So bleibt es bei goldenen Blicken, stillen Tastversuchen, neugierigen Sonden in fremden Gewässern. Nonverbale Süßigkeiten.
Und ich hüpfe wie ein kleines Kind durch die Wohnung. Träume Abenteuerträume, verschlafe meinen freien Morgen. Die Sonne ist heute vor mir da. Als ich sie hereinlasse und Kerne in die Muschel am Balkon lege, kommen die Meisen. Schweigen ist Gold. Wer immer das sagte, wusste, wovon er sprach.
Badewannenbücher
Die Zukunft der Badewannen ist da. Und ich sinke in Badewasser, dessen Temperatur meinen Kreislauf hart an seine Untergrenze bringt. Es gibt jetzt auch Badewannenbücher. Das sind Bücher, die Wasserflecken haben dürfen, Eselsohren, und die sich wellen und wölben im Dampf. Geschichten für ein vor Hitze schwirrendes Hirn.
Bald wird die frischgebackene Wohngemeinschaft auch ihre Küche bekommen. Obwohl ich nicht kochen kann und dieses Können auch niemand von mir erwartet, freue ich mich. Ihr wisst ja, wo jede gute Party endet.
Als Handschuh
Manchmal werde ich hellwach, ganz plötzlich, mitten unter den müden Passagieren, und vielleicht kennst Du es, dieses Gefühl, dass etwas in Dich hineinfährt, Du als Handschuh, und Du spürst, dass das Hineinfahrende Du bist und mehr als Du.
Kaffbahnen
Auf dem morgendlichen Bahnhof, genauer, auf einem der großen Buchstaben, die zusammen den Ortsnamen ergeben, sitzt eine kleine Eule und schaut. Es ist noch dunkel. Sechs Buchstaben weiter sitzt eine Taube und schläft.
Innerhalb von vier Tagen lege ich achthundert bis neunhundert Kilometer per Bahn zurück. Leider nur hin und her, so dass es weniger spannend ist, als es klingt. Es ist aber auch weniger schrecklich, als es klingt, je nach Betrachtungsweise, je nach Geschmack. Einerseits verfluche ich die Kaffbahnen, in denen es keine Tische, geschweige denn Rechneranschlüsse gibt, und deren Polster an Sperrmüllsofas erinnern. Andererseits schaukle ich gern durch die Landschaft, ahnungslos und irgendwie kontrollverlustig, auf diesem schaukelnden Sofa lebend als wäre es die Welt, ein Passagier, im Nirgendwo, und fremd. Zuckelfahrten, Zeitvergessen, Zugzen.
Die kleine Eule dreht ihren Kopf im Gefieder wie ich meinen Hals in Schichten aus wolligem Schal. Es ist Winter. Wir bewegen uns nur langsam.
Elektrisiert
Die rote Lampe sah im Bauhaus weit weniger pornomäßig aus als an meinem Bett. Ich unternehme nichts dagegen, natürlich. Plötzlich bekomme ich Lust auf einen rosa Flauschpullover. Manchmal bekomme ich Lust auf gewisse Kleidungsstücke, wie man Appetit auf gewisse Speisen hat. Ich frage mich, ob das normal ist und wähle stattdessen einen bunt gestreiften Angorapulli. Ich fühle mich wohl darin und schlage zwei Nägel in die Wand, hänge zwei Spiegel auf. Ich bade oft, mit Lavendelöl oder ohne. Die Sache mit Einstein und Gödel fesselt mich, aber ich verbiete mir weitere Bücherkäufe, vorerst.
Natürlich nehme ich die Einladung nach Irland gern an. Und wer weiß, vielleicht klappt es dieses Jahr mit Dublin. Ich wollte ohnehin wieder auf die Insel, irgendwann. Am liebsten auf ein Boot und den River Shannon rauf und runter, aber fürs Erste lasse ich auch Dublin gelten.
Von Zeit zu Zeit weiß ich sehr genau, was ich auf dieser Erde verloren habe. Mich berührt, bewegt, elektrisiert etwas, und es hält mich bei der Stange. Ich schreibe meiner Freundin in Paris davon. Hätte ich den Brief noch, könnte ich zitieren. Aber nein, ich will gar nicht zitieren, Brief ist Brief. Eine ganz, ganz langsame Explosion, schrieb ich anderswo. Langsam wird mir klar: Ich bin eine Hochgeschwindigkeitskamera.