Eine Fee in Stockholm hat Folgendes gekritzelt:
Hier sitze ich, vor einer Tasse Tee, einem Muffin, einem Haufen Schokolade, einer Thunfischdose und einer Elfkronenlasagne. Ich esse das Zeug, ganz langsam, und warte auf die Nacht.
Wenn ich das so schreibe, finde ich die Kombination selber eklig. Aber erst, seit ich es aufgeschrieben habe. Davor nicht. Ich sehe, dass neben meinem Fenster die Palmkätzchen aufgehen. Der Himmel ist bleigrau. Marilyn Manson singt irgendwas von der Geschwindigkeit des Schmerzes.
Ich beginne, das Blatt vor mir zu lieben. Ich beginne, die ganze scheinbar sinnlos totgewartete Zeit zu lieben. Worauf ich warte, mag jemand fragen. Auf die Nacht, ihr Ende, den Heimflug. Ich habe mich vollgesogen, eine Woche lang, bis über beide Ohren, mit Stockholm, Hafenpromenade, Spielplätze auf Södermalm, Eisschollen im Park, öffentlicher Nahverkehr, windige Ecken und Glashäuser am Meer. Jetzt habe ich genug und will nach Hause. Ich warte. Ich spüre, wie mein Kopf überfließt vor, ich will es ganz prosaisch nennen, Material. Fließt über, ein Kochtopf, der zu lange unbewacht auf der Hitze stand. Gleichzeitig explodiert auch mein Herz, herzzerreißend langsam, in einer Gischtwolke aus warmem Blut. Die Musik, jetzt Dredg, ist mit schuld. Für eine Weile tue ich gar nichts.
Später wickle ich meinen Schal um die Füße und hoffe, sie werden nicht kalt.
Wetterbericht
Den Stockholmer Wetterbericht verfolgen, Strumpfhosen sortieren, sich überlegen, ob Tinte in einem Füller als Flüssigkeit zählt, den Füller schließlich kopfschüttelnd einpacken, das Fernweh spüren, schnell noch Briefe abschicken und Worte tippen, nicht wirklich hier sein, auch nicht dort. Fernweh, merke ich, ist mit Lampenfieber eng verwandt.
Kaffee Mexiko
Ich trinke meinen Kaffee Mexiko wie immer, viel Schokolade, etwas Milch, manchmal Zimt, und nenne ihn Kaffee Mexiko, bis mich jemand eines Besseren belehrt. Dann ziehe ich mich an. Für fünf Minuten bemühe ich mich, weniger wie ein Lifestylejunkie auszusehen, weil ich Leuten begegnen werde, bei denen ich nicht nach Lifestylejunkie aussehen will. Gebe aber auf. Ich entkomme meinem Stil ja doch nicht. Mir fällt schließlich auf, dass ich den Begriff Lifestylejunkie eben erst erfunden habe und im Grunde nicht einmal weiß, was er bedeutet. Also kein Grund zur Panik. Ich ziehe absichtlich die buntesten Schuhe an, die ich finde. Mein Nagellack schillert wie ein frisch befüllter Pool.
Ich schrieb einmal, dass ich wie in einer Oililywerbung lebe, wo Äpfel, Wasser und Kopfschmerztabletten immer irgendwie nach Erdbeere schmecken. Heute ist das wieder so. Füttert man übrigens die Suchmaschine mit den Begriffen Oililywerbung oder Lifestylejunkie, landet der Fairy Club tatsächlich auf Seite eins. Bisher jedenfalls. Zu diesen Begriffen zählen auch: Litschigeschmack, Schwarzpulverdunst und Rumgesnobbe.
Kettenbruch
Die Wüstenszene, Emilia und ihr Löwe, stehen nun im Atelier. Neben der Kuppelstadt, wie versprochen. Heute ist ein verpennter Tag, zu dunkel, sogar mir. Das Leben scheint wie eine Kette ständiger Anfragen, Absagen und Zusagen. Ja, nein, warte. Ich darf nicht vergessen, mir den internationalen Studentenausweis zu besorgen. Ich krame ein Passbild heraus.
John William Waterhouse hält mir weiter seine üppig wuchernden Spiegel hin. Ob wirklich, wer sich viel mit Nymphen beschäftigt, selbst zu einer wird?
Ein Swimmingpool, denke ich
Ich werde von einer quirligen Windhose geweckt. Sie kommt an mein Bett, atmend, wie die Schnauze eines Tiers. Ich streichle das Tier, das ich mir einbilde, einen jungen Löwen, und stehe auf.
Ich mache Fotos von meinen Siebensachen und verkaufe sie. Ich esse Müsli. Ich sehe aus dem Fenster. Mein Haus liegt an einer Sackgasse inmitten von Pizzerien und Biergärten. Ein Weinhaus, ein Modegeschäft. Gegenüber ein großes, modernes, rotes Haus. Auf dessen Dach gehört eigentlich ein Swimmingpool, denke ich. Die Terrasse des Hauses ist so groß, dass man ganze Sommer auf ihr verbringen kann. Mein Fenster, von dort drüben gesehen, muss sehr unscheinbar wirken. Überhaupt fühle ich mich heute sehr unscheinbar. Draußen kann ich Vögel hören. Es ist ruhig.
Die Sonne wärmt, ich denke an die Wüstenszene, aus der die Windhose stammte. Die Wüstenszene, ein Acrylbild, werde ich wohl bald ins Atelier stellen, neben eine weiße Kuppelstadt.