Glockenschlag

Der Abend im Stift war weinhaltig und zwanglos. Jetzt weiß ich, dass es Zeit ist, Zugaben in der Hinterhand zu haben. Wie peinlich, wenn ich auf den Zuruf nichts zu spielen weiß. Ich behalf mir und sang etwas, das ich noch im Kopf hatte. Zum Glück, wie ich schon sagte, war die Atmosphäre locker genug dafür. Ich fragte mich, wie wohl mein Singen im Innenhof des Stiftes klingen würde, widerhallend von allen vier Wänden. Aber den Gedanken behielt ich für mich.
Das Schokoladenfest war klein und kalt, aber süß. Und scharf, mit einem Schuss Chili. Tatsächlich hat es ein wenig Lust auf Weihnachten und auf Winter in mir geweckt. Hauptsächlich auf Winter.
Eine leichte Unruhe geistert mich an. Ich denke ans Kloster Bebenhausen, nachts um drei. Ein Spaziergang dort, in den Höfen und Gassen, kann zwei aufgescheuchte Geister so sanft zur Ruhe bringen. Wohin werden wir gehen, wenn wir nächstens wieder nicht schlafen können?

Orange

Ich halte den Apfel ganz nah an die Nase. Sein Geruch erinnert mich an Gutes, Warmes, Moosiges. An die Bäume im Garten meiner Eltern. An die gelben, spitzen Blütenkelche, die jeden Frühling unter ihnen aufgehen. Mein Vater nennt mich immer noch sein Töchterle. Oder Maus. Er wird es immer tun. Hoffe ich. Ich bin nämlich gerne Tochter und Maus. Heute baute er mir einen Schrank zusammen. Der hat orangefarbene Türen, dunkelorange, und einen Spiegel in der Mitte. Der Apfel ist auch orange, an manchen Stellen. Ich sollte wieder den mandarinefarbenen Glitzerlack auftragen. Orange ist die Farbe der Saison.
Das Wochenende im Kloster am Blautopf, zugebracht in Gärten, Speisesälen, Seminarräumen und Hotels, hielt mehr als es versprach. Ich schöpfte Zutrauen. Ich sah über all die einsame Arbeit nun endlich wieder klarer. Und ich weiß, dass eine Menge weitere Arbeit auf mich wartet. Arbeit, auf die ich widerum gewartet hatte.
Dass William Blake sich schnöde vordrängt und mich abhält vom Eigentlichen, werde ich nicht ändern. Mein Staatsexamen hängt an ihm und an einem ganzen Sack voll anderer Dichter und Denker. Das Studium ist zu einem Raubzug geworden, den ich halbwillig, aber dafür mit umso weniger Skrupeln, antrete. Wenn ich schon eine Zulassungsarbeit schreiben muss, dann soll danach Blake und seine Welt mir gehören, ich werde mich vollfressen an seinem Tisch und in alle umliegenden Häuser Fackeln werfen. Ich muss aufpassen, dass ich heil davonkomme.

Nymphalidae

Mein Schmetterling ist giftig und gehört zur Familie der Nymphalidae.
Ich wurde geimpft und spüre schwaches Fieber. Ich bin zu faul, die Temperatur zu messen. Während ich drei Säfte mit Wasser mische, verwalte ich die Bilder in meinem Kopf. Ich werde noch eine Weile brauchen. Geduld.

Ozeanisches Blau, kupfernes Rot

Teamspeak und Nerdtalk. Wuthering Heights und Furious Angels. Kaffee und Zimt. Als sei es der ultimative Liebesbeweis, voneinander zu träumen, erzählen wir einander unsere Träume. Die Nacht ist dunkler als andere Nächte.
Mit diesem Eintrag verschiebe ich den letzten kommentierten Eintrag ins Archiv. Von wegen geschwängert. Fjonan sagt, meine Fingernägel sähen kindisch aus, mit dem Glitzerlack. Nein, teeniemäßig, sagt er. Ich freue mich aber, dass ich endlich den Orangeton gefunden habe, den ich suchte. Das Goldorange des Monarchfalters. Als doppelte Lackschicht ist es gerade satt genug. Erst vorgestern bemerkte ich, wie farbsüchtig ich bin. Herbstbäume, die mit ihrem Gelb oder Rot schamlos in der Sonne herumprangen, muss ich zwanghaft ansehen, sie verschaffen mir ein angenehmes, soghaftes Gefühl. Die Palette des Abendhimmels kostet mich manchmal den klaren Kopf. Ich denke an das unglaubliche Blau, das weit draußen das Meer hat. An das schöne Rot mancher Hausfassaden. An den Kupferglanz einer Feder, die ich noch vor Tagen in den Fingern hielt.