Wegzehrung

Einen Roman zu schreiben ist die Erstbesteigung eines Berges, den bis dato niemand kennt. Du bist allein, verlierst an Gewicht und spürst übergenau jeden Deiner Schritte. Du weißt nicht, ob der Höhenrausch oder die Müdigkeit gefährlicher sind. Dein Weg muss gut sein, sonst kommst Du nicht zurück. Du hast Zeit, in der Landschaft zu verschwinden. Zweifel gibt es nicht. Manchmal tut Dir etwas weh. Würdest Du rauchen, würdest Du mehr rauchen. Hier fällt das Bild auseinander. Bergsteiger rauchen nicht. Außerdem gehen sie nicht allein, wie Du. Und überhaupt, wer muss schon mitten im Berg sein Staatsexamen schreiben.

Samt Brunnen und Brücken

Spät in der Nacht, wochentags, im Winter, kannst Du in dieser Stadt spazieren gehen wie im Wald, so ruhig wird sie. Dann gehört sie Dir, die Stadt, samt ihrer Brunnen und Brücken. Von Lustnau her kommt Dein Triumphzug heran, mit kleinen goldenen Schuhen. Haus um Haus gehört Dir, alle dunkel und still und voller Träumer. Du glaubst, dass alle Türen offen sind, Du müsstest nur hineingehen und schlafen, wo immer Du willst. Aber Du willst nicht schlafen.
Irgendwann landest Du doch in Deinem Bett, liest wieder Platon und isst einen Apfel.

Kleine Nachtmusik

Meine Zöpfe liegen nach links und rechts abgespreizt im Kissen. Ich habe mich rücklings aufs Bett geworfen. Der rechte Zopf berührt einen schlafenden Mann. Das Zimmer ist dunkel, bis auf eine Insel roten Lampenlichts. Überm Tisch hängen Federn an weißen Fäden und bewegen sich mit der warmen Luft.

Pepparkakshus

Wenn starker Kaffee mit Trinkschokolade gemischt wird, verändert sich seine Farbe ins Sanfte und Tonlose hin. Ich esse ein Pepparkakshus, ohne es vorher zu bauen. Das heißt, ich esse das Dach zuerst, dann eine Frontwand. Währenddessen schneit es wieder heftiger. Das passt sehr gut ins Bild. Ich hatte mir den Schnee gewünscht.

Schwedische Seife

Es ist tatsächlich so: Noch bevor die Seife aus Stockholm gänzlich aufgeseift sein wird, werde ich die schwedische Hauptstadt wiedersehen. Ich freue mich. Ich stelle mir verschiedene Menschen im Hafen vor. Der Schal des einen Mannes weht im Wind, bis er ihn mit seiner breiten Hand in den Kragen seiner englischen Jagdjacke gesteckt hat. Der Mann sieht aus als wohne er in einem Hotel und habe gut gefrühstückt. Er wäre ein guter Gesprächspartner, aber er sieht mich nicht an, etwas Hochmut und etwas Schmerz ist in seinem Blick. Der andere Mann hat keinen Schal, dafür aber Kopfhörer auf den Ohren, so wie ich. Er geht rasch, einen Tick rascher als ich, wir schweben aneinander vorbei. Unsere Blicke lächeln, verraten das Wissen um die Musik, das Raten um die Musik des Anderen. Wir sind wie Filmgestalten, die keinen Alltag haben. Unsere Schritte sind viel zu weich für den harten Wind. Wir öffnen die Münder, es gäbe viel zu sagen zwischen uns, aber wir sagen es nicht, gehen weiter, das Lächeln jetzt sehr sichtbar, das verbindet uns.
Ich schneide mich an einer Dose und denke an etwas anderes.