Am Tag nach der Blutspende ein Glas Wein zu trinken ist durchaus eine andere Erfahrung als gewöhnlich. Zumindest, wenn die eigene Körpermasse nicht hinreicht, um als ordentlicher Alkoholverteiler zu dienen. Mir schwindelt und ich bleibe lächelnd sitzen. Als Erstspender ist überhaupt die ganze Prozedur eine Erfahrung. Nadeln, Flüssigkeiten und mein rotes Leben, dem ich beim Rinnen zusehen kann. Es ist unheimlich.
Danach, der Beutel ist ganz warm, ich darf ihn anfassen. Mein Arm tut ein bisschen weh beim Beugen, aber das ist in Ordnung. Den Verband trage ich gerne für ein paar Stunden, so wie sich Kinder gegenseitig Verbände anlegen, gerne, für ein paar Stunden.
Mein Gefühl bestätigt sich, dass dieser Körper nur geliehen ist. Ich stecke so ganz darin, liebe sein Sichtbares und Unsichtbares, darf alles mit ihm machen, was ich will. Das ist herrlich. Trotzdem, letztlich werde ich ihn wohl wieder abgeben. Mein Blut gehört nicht mir, würde eine Dame aus meinem allernächsten Umfeld sagen. Meine Stimme gehört nicht mir, würde sie hinzufügen und insgeheim gen Himmel schielen, ob dort nicht ein Gott wartet, sie kurzer Hand in seinen rosafarbenen Cadillac zu packen.
Taschenmesser und Ohrstöpsel
Die Taschenmesser teilen sich die Schublade mit den Ohrstöpseln. Eine jener kleinen Schubladen ist es, kubisch, in die ohnehin nicht mehr als ein paar Taschenmesser und vier Packungen Ohrstöpsel passen. Warum gerade die Taschenmesser und die Ohrstöpsel sich dort treffen, ist eine schwierige Frage. Wahrscheinlich haben sie ungefähr denselben Stellenwert bei mir. Ich brauche sie manchmal, eher selten, dann aber dringend. Drei Schubladen höher wohnt das Tuschefass.
Suchmaschinenspiel
In den Statistiken des Fairy Clubs sehe ich, dass ich tatsächlich mit den Begriffen Oililywerbung und Lifestylejunkie gesucht wurde. Meine Leser sind ein aufmerksames Volk. Bei diesem Blick in die Statistik sehe ich auch, mit welchen anderen Suchbegriffen ich gefunden wurde. Das ist teilweise wirklich unterhaltsam: farbsüchtig, Kinderkuss, haariger Bauch, Wimper vom Finger pusten, reitende Mädchen, Nymphe, Club für Sadisten. Eine erhellende Lektüre.
Einer der Suchenden möchte gerne einen Lehrer mit steifem Schwanz finden. Zunächst will ich das ignorieren, beschließe dann aber, einmal nachzusehen, ob ich vielleicht noch einen solchen Lehrer im Keller stehen habe. Jemand wünschte Pokern zu lernen in Kiel und stolperte ebenfalls in den Fairy Club. Letztlich kann man hier alles lernen, denke ich, also nur herein. Kiel ist überall. Setzt Euch erstmal da ins Eck. Die neuen Samtsofas kommen gleich. Tee oder Cocktails gibt es in Massen. Hier ist der Flügel, falls jemand spielen kann. Macht es Euch bequem.
Ich trinke Kaffee und stöbere weiter. Im Fenster leuchtet eine Lichterkette, deren kleine Birnen wie Eiswürfel aussehen. Gehört eigentlich in eine Bar. Ich sehe schon, ich sollte zur Selbstbespiegelung öfter die Statistiken lesen.
Plötzlich fallen mir eine Menge Worte ein, die typisch genug sind, dass Suchmaschinen bei ihrer Nennung schnurstracks zu mir rennen, wie Bluthunde. Wüstenszene zum Beispiel. Realitätsbaden. War alles schonmal da. Oder Clubsphäre, auch schön. Wieseltempo. Alkopopdosen. Proggerblogs. Meine Wortlust und mein Spieltrieb stürzen sich brüderlich auf das neue Suchmaschinenspiel. Jetzt ist aber Schluss mit dem Wortgehäcksel, denke ich. Es ist Zeit für ganze Sätze.
Einzig der Club für Sadisten beschäftigt mich noch etwas.
Glashäuser am Meer
Eine Fee in Stockholm hat Folgendes gekritzelt:
Hier sitze ich, vor einer Tasse Tee, einem Muffin, einem Haufen Schokolade, einer Thunfischdose und einer Elfkronenlasagne. Ich esse das Zeug, ganz langsam, und warte auf die Nacht.
Wenn ich das so schreibe, finde ich die Kombination selber eklig. Aber erst, seit ich es aufgeschrieben habe. Davor nicht. Ich sehe, dass neben meinem Fenster die Palmkätzchen aufgehen. Der Himmel ist bleigrau. Marilyn Manson singt irgendwas von der Geschwindigkeit des Schmerzes.
Ich beginne, das Blatt vor mir zu lieben. Ich beginne, die ganze scheinbar sinnlos totgewartete Zeit zu lieben. Worauf ich warte, mag jemand fragen. Auf die Nacht, ihr Ende, den Heimflug. Ich habe mich vollgesogen, eine Woche lang, bis über beide Ohren, mit Stockholm, Hafenpromenade, Spielplätze auf Södermalm, Eisschollen im Park, öffentlicher Nahverkehr, windige Ecken und Glashäuser am Meer. Jetzt habe ich genug und will nach Hause. Ich warte. Ich spüre, wie mein Kopf überfließt vor, ich will es ganz prosaisch nennen, Material. Fließt über, ein Kochtopf, der zu lange unbewacht auf der Hitze stand. Gleichzeitig explodiert auch mein Herz, herzzerreißend langsam, in einer Gischtwolke aus warmem Blut. Die Musik, jetzt Dredg, ist mit schuld. Für eine Weile tue ich gar nichts.
Später wickle ich meinen Schal um die Füße und hoffe, sie werden nicht kalt.
Wetterbericht
Den Stockholmer Wetterbericht verfolgen, Strumpfhosen sortieren, sich überlegen, ob Tinte in einem Füller als Flüssigkeit zählt, den Füller schließlich kopfschüttelnd einpacken, das Fernweh spüren, schnell noch Briefe abschicken und Worte tippen, nicht wirklich hier sein, auch nicht dort. Fernweh, merke ich, ist mit Lampenfieber eng verwandt.