Schwarzpulver

Wir ziehen mit Fackeln durch die Stadt, irren laut lachend über leere Vierspurige, lachen das neue Jahr an. Feuerwerke beginnen aus allen Ecken zu schießen und doch sind kaum Menschen zu sehen. Bis wir an die Brücke kommen. Dort liegt sie, verqualmt, im Schwarzpulverdunst und voll betrunkener Menschenknäuel, aus denen unkontrolliert Explosionen und Raketen hervorschießen. Wir müssen hinüber. Also mitten hindurch. Neben den Füßen eines Mädchens explodiert etwas. An der Nase eines Kerls pfeift etwas vorbei. Ein anderes Mädchen wirft etwas in unsere Richtung und bekommt große Augen. Was immer es ist geht in die Luft. Wir bleiben unberührt. In den Ohren klingt es wie Krieg. Im Kopf aber ist es ein Fest. Oder im Herzen, wenn ich mich trauen würde, so pathetisch zu klingen. Es sieht leichtsinnig aus. Und obwohl wir die Brücke schnell passieren, rasche Flucht durch die Schusslinie, sind wir ein Teil des Leichtsinns und vielleicht sind meine Schritte deshalb so sorglos und ohne Schwere.
Wer ganz genau hinhörte, konnte unter dem Schießen das Geläut der Glocken hören. Inferno auf einer Brücke, das war mein Neujahrsfest.

Trauminventur

Die Wahrheit ist ein scheues Kind: Du musst sie mit eitlen Schauspielen locken. Solche Sätze träume ich. Ich träume auch, dass ich mit Nadeln spiele und irgendwann bemerke, dass es Dolche sind. Üblicherweise, wenn sie im Fleisch des Gegenübers stecken. Und manchmal träume ich, dass ich einen Schwanz habe, wie die Männer. Er ist schön und fest. Öfter träume ich aber, dass ich fliegen kann.

Moormädchen

Ich habe wieder Schlittschuhe. Endlich. Mein letztes Paar ist mir zu klein geworden. Ich war schon eine Weile nicht mehr auf dem Eis. Es ist Zeit zu sehen, ob es noch Eisfeen gibt. Ich freue mich. Mein Weihnachtsgeschenk an mich selbst.
Gut erinnere ich mich, wie die Moore bei dem Dorf, wo ich aufwuchs, gefroren waren. Ich lief übers Eis, zwischen moosigen Stämmen, verrottetem Holz, Luftwurzeln, Schilf und Raureifgras. Unter mir schliefen die Molche, tief vergraben im kalten Schlamm. Das Eis war nicht nur weiß, sondern auch dunkelgrün. Manchmal war eine Luftblase ins Eis geschlossen und mimte den Edelstein. Smaragd, dachte ich. Die Moortöpfe heißen Wasenlöcher. Neugierige und findige Leser wissen nun auch, wie das Dorf heißt. Eislaufen auf den Moortümpeln war bestimmt verboten.

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Es gibt tausend Ausflüchte aus der Arbeit und nur einen Weg zurück.
Für jetzt aber nehme ich den Highway aufs Land, die Schnellstraße an den Rand der Welt, die Auffahrt zum Chill, den Weg an ein geistiges Meer. Dort werde ich eine Weile wohnen, auf Schnee warten, und meine Hauptbeschäftigung wird eine genüssliche Zeitverschwendung sein. Meere sind im Winter nicht sehr freundlich, deshalb ziehe ich mich warm an.
Warum packt mich manchmal das Glück wie ein Geschwindigkeitsrausch? Während ein schneller Wagen aber, mit großen Sätzen von Gang zu Gang hechtend, mechanisches Muskelspiel, mich fortträgt, immer weiter fort, trägt Glück mich nirgendwohin. Oder besser gesagt: Genau dahin, wo ich schon bin. Die Bewegung, der Rausch, bleibt derselbe.
Manche Leute möchten nicht im Auto sterben. Wenn ich Rob Dougan singen höre, weiß ich, dass manche zumindest mit dem Gedanken gespielt haben. I’m not driving anymore, singt er. Ich stelle mir vor wie er, in voller Fahrt, die Hände vom Lenkrad nimmt und die Beine entspannt, sich weigert, nur einen weiteren Finger zu rühren, um die Maschine zu kontrollieren. Er will nicht mehr kontrollieren. Er sieht einfach zu. Und wartet. Was passiert. I’m not driving anymore.