Archiv der Kategorie: Tagebuch

Lautes und Buntes

Das Klassentreffen des Literaturbetriebs, Frankfurt und die Buchmesse, Großstadtnächte, ich schleuse mich durch Lautes und Buntes. Durch Wühlen zum Erfolg, sagt meine Lektorin. Abends gehen wir auf Partys, auf denen alle Frauen wie Ann Cotten aussehen. Die Verlegervilla ist mein Refugium, Bücher und ein Surfbrett in meinem Zimmer.
Drei Wochen später, Gentlemen’s Quarterly, das Männermagazin für Style und Anspruch ernennt mich offiziell zum Männerversteher. Ich fische unterdessen meine Stimmung aus dem Marianengraben, jage Pfeile in den Supermond. Elektronische Musik gibt Auftrieb, es ist Zeit für einen Reboot, Zeit für Widerstand. Auch hier kann ein Verbrechen geschehen, warnt auf einer Raststätte zwischen Emden und Göttingen ein blaues Schild.

Ein violetter Papst

Wir füttern Mäuse, lümmeln mit Katern im Bett, in geheimen Gärten stöhnen die Schildkröten beim Sex. Bei der Buchpremiere spreche ich über Kleinstadtleben, über Musik und Sprache, umarme alte Lehrer. Nicht genug Schlaf, nicht genug Lachsbrötchen, dafür der Bürgermeister, ein Steinway und in der ersten Reihe drei Franziskanerinnen in vollem Ornat. Der Herbst bringt weitere Lesungen, ich schnuppere Theaterluft, schnuppere auch an Moos, Minze, Melisse, an Keksen in Knopfform. Links abbeißen, rechts abbeißen, schwebende Teekessel und tanzende Goldrandtassen. Nur ein verrückter Hutmacher fehlt. Stattdessen finde ich auf einem Plakat, die Staatsgalerie stellt Francis Bacon aus, einen violetten Papst mit Maulsperre. Ich freue mich wie ein Kind und klaue ihn.

Alienschiff

Tage am Meer, Bodenhaftung gegen Weißwassergleiten eintauschen. Mit dem Wetter gehen, mit den Wellen, danach heiße Schokolade im Surfcafé. Nachts gehört Norderney den Kaninchen. Wir beobachten ein Alienschiff, kilometerbreit und rotbeleuchtet. Es muss in der Nordsee notgelandet sein, all seine Warnsysteme blinken.

Laubenvogel

In einer sortierten Welt zu leben, bunt sortiert wie der Nestschmuck eines erfahrenen Laubenvogels, zu wissen, die Steuererklärung suckt, aber sie ist binnen eines Tages zu erledigen und in aller Regel bekomme ich Geld dafür und nach dem Formularewälzen kann ich ins Freibad gehen. Ausreisen kann ich auch, wenn ich will, Witze machen, selbst solche, die nicht witzig sind. Aber ich höre ein hässliches, heiseres Heulen vor der Tür, will den Text eines Schriftstellerkollegen verlinken und lasse es, weil er Angst hat um sich und seine Familie. Wie oft schalt ich mich selbst als unpolitisch, wie oft sagte ich nichts, wenn ich und meine anderthalb Generationen als infantile Unfugtreiber hingestellt wurden, als Träumer, Müßiggänger, Produzenten formvollendeter Spitzfindigkeiten allenfalls, wir Smoothieschlürfer, wir Jutetaschenträger. Aber ich vergaß, dass diese Spitzfindigkeiten, diese Muße und dieser Unfug des Glückes Unterpfand sind, ein Teil der großen Freiheit, ohne Einmischung lehren, lieben, schreiben, sagen zu können, was uns bewegt, und dass diese Spitzfindigkeiten, diese Muße und dieser Unfug nur jedem an den Hals zu wünschen sind.

Fotosurrealismus

Eine Eiskugel Sprache in die aufgeweichte Waffel bugsieren. Sonntagmorgen und alles zerfließt. Zu wissen, dass eine Sucht weniger schon genügen würde. Dass Solidarität kein Ding der Unmöglichkeit ist. Der Raubvogel, die Giraffe und die Paradiesziege sehen zu, wie der Wasserstand im Atelier sinkt. Fotorealistisch formt sich die Angst, dass mein Phosphor in Flammen aufgeht.