Wo es tief ist

Ich mache zwei Schritte vor die Tür, fühle noch die Zugluft und wirble herum. Die Wohnungstür schlägt schneller zu als ich greifen kann. Zack, zu. Drinnen ist niemand. Es ist früh morgens und ich stehe im bodenlangen Nachthemd im Treppenhaus. Ohne Schlüssel. Mit einer roten Rose in der Hand.
Der kleine Gärtner sagt, er habe kein Mobiltelefon. Langsam versammeln sich die Nachbarn um mich. Wäre es nicht um das Nachthemd, würde ich ja selbst klettern. So muss ich den Dienst dem jungen Nachbarn von schräg oben überlassen, der sich beherzt auf meinen Balkon schwingt. Romeo minus Julia.
Dem Rosenkavalier erzähle ich später am Telefon die ganze Geschichte. Für eine Weile schwebt er in meiner müden Samstagsblase. Wir hatten uns bekriegt, wir hatten erschöpft die Waffen fallen gelassen, waren in den Sand gesunken. Irgendwo muss ein Sturm getobt haben. Erst langsam wird klar, dass wir am selben Strand erwacht waren. Ich liege auf dem Rücken, starre in den Himmel. Etwas Tiefblaues war schon immer da. Ich werde den Mann wiedersehen, wo es tief ist.
Ich packe mal wieder die Tasche, lackiere noch schnell die Nägel. Ins Kloster werde ich fahren, diesmal nicht zum Schreiben, leider.