Finanzviertel verboten

Nicht zu fassen. Heute habe ich tatsächlich wie ein normaler, vernünftiger Mensch zu Mittag gegessen. Tomate, Mozzarella und Kräuterbaguette. Zugegeben, das ist ausbaufähig. Aber egal. Was ich eigentlich schreiben will, ist Folgendes.
Letzte Woche, zwar fielen die Temperaturen nachts bis auf ein paar wenige Grad, verschlug es einen Fotografen und mich wieder in die Stadt. Die erste Frühlingsluft und die Gewissheit, dass ich bald wieder abreise, trieben uns zur abendlich kühlen Aktfotografie. Wie geplant, im Bankenviertel von Stuttgart.
Gut beleuchtet und protzig liegen also die Bankgebäude vor uns, strahlen und schimmern wie poliert. Perfekt. Es weht ein wenig zu kühl fürs Nacktsein, aber ich weiß, dass ich das ein oder zwei Stunden durchhalte. Nach nur siebzehn Aufnahmen werden wir unterbrochen. Ein Wachmann. Ich trage zum Glück, oder vielleicht war es auch Pech, gerade den Mantel des Fotografen. Fotografieren und Filmen, heißt es von Seiten des Wachmanns, sei auf dem gesamten Bankgelände verboten. Er beäugt währenddessen unsere Requisiten, einen Putzeimer, Besen, einen Motorradhelm, die Thermoskanne, und meine Beine. Raffinierte Gangster oder ziemliche Spinner, denkt er vielleicht. Oder er denkt gar nichts, weil er solche Hampelmänner öfter sieht. Nein, eigentlich sieht er aus, als habe er das Denken auf später verschoben und mache jetzt erstmal seinen Job. Das nehme ich ihm nicht einmal übel. Sachlich und knapp verweist er uns des Ortes. Ich hätte ihn noch gerne nach dem Grund des Verbotes gefragt, er schaut aber so finster, deshalb lasse ich es. Die Banken sind also, denken wir, wenigstens für diesen Abend, gestorben. Es werden imposante, leuchtende Riesen gebaut und keiner darf sie fotografieren.
Zuflucht, denn Aufgeben war keine Option, fanden wir, nach kurzer Fahrt, bei Daimler Benz. Reflektierender Lack, große Scheiben, Holzterrasse, nicht schlecht. Die Temperatur war noch auszuhalten. Auf der Holzterrasse standen aufgepumpte Geländewagen, hinter den Scheiben teures Blech in vielen anderen Formen. Hätte nur diese eine silberne Karosse noch etwas näher am Fenster gestanden! Sollten wir den Pförtner vielleicht fragen, ob er uns möglicherweise diesen einen Wagen … drei Meter nach vorn? Ja, dorthin. Wunderbar, danke.
Wir beschlossen, unser Glück nicht auf die Probe zu stellen. Hundert Bilder später und zehn gefühlte Grade kälter, wurde ich zurück nach Tübingen verschifft. Ich war müde, viel zu müde für diese Uhrzeit, und schlief wie ein Stein.
Der geneigte Leser möge sich bei Interesse ein paar der Bilder selbst ansehen. Ihr wisst ja, wo.

Mein rotes Leben

Am Tag nach der Blutspende ein Glas Wein zu trinken ist durchaus eine andere Erfahrung als gewöhnlich. Zumindest, wenn die eigene Körpermasse nicht hinreicht, um als ordentlicher Alkoholverteiler zu dienen. Mir schwindelt und ich bleibe lächelnd sitzen. Als Erstspender ist überhaupt die ganze Prozedur eine Erfahrung. Nadeln, Flüssigkeiten und mein rotes Leben, dem ich beim Rinnen zusehen kann. Es ist unheimlich.
Danach, der Beutel ist ganz warm, ich darf ihn anfassen. Mein Arm tut ein bisschen weh beim Beugen, aber das ist in Ordnung. Den Verband trage ich gerne für ein paar Stunden, so wie sich Kinder gegenseitig Verbände anlegen, gerne, für ein paar Stunden.
Mein Gefühl bestätigt sich, dass dieser Körper nur geliehen ist. Ich stecke so ganz darin, liebe sein Sichtbares und Unsichtbares, darf alles mit ihm machen, was ich will. Das ist herrlich. Trotzdem, letztlich werde ich ihn wohl wieder abgeben. Mein Blut gehört nicht mir, würde eine Dame aus meinem allernächsten Umfeld sagen. Meine Stimme gehört nicht mir, würde sie hinzufügen und insgeheim gen Himmel schielen, ob dort nicht ein Gott wartet, sie kurzer Hand in seinen rosafarbenen Cadillac zu packen.

Taschenmesser und Ohrstöpsel

Die Taschenmesser teilen sich die Schublade mit den Ohrstöpseln. Eine jener kleinen Schubladen ist es, kubisch, in die ohnehin nicht mehr als ein paar Taschenmesser und vier Packungen Ohrstöpsel passen. Warum gerade die Taschenmesser und die Ohrstöpsel sich dort treffen, ist eine schwierige Frage. Wahrscheinlich haben sie ungefähr denselben Stellenwert bei mir. Ich brauche sie manchmal, eher selten, dann aber dringend. Drei Schubladen höher wohnt das Tuschefass.

Suchmaschinenspiel

In den Statistiken des Fairy Clubs sehe ich, dass ich tatsächlich mit den Begriffen Oililywerbung und Lifestylejunkie gesucht wurde. Meine Leser sind ein aufmerksames Volk. Bei diesem Blick in die Statistik sehe ich auch, mit welchen anderen Suchbegriffen ich gefunden wurde. Das ist teilweise wirklich unterhaltsam: farbsüchtig, Kinderkuss, haariger Bauch, Wimper vom Finger pusten, reitende Mädchen, Nymphe, Club für Sadisten. Eine erhellende Lektüre.
Einer der Suchenden möchte gerne einen Lehrer mit steifem Schwanz finden. Zunächst will ich das ignorieren, beschließe dann aber, einmal nachzusehen, ob ich vielleicht noch einen solchen Lehrer im Keller stehen habe. Jemand wünschte Pokern zu lernen in Kiel und stolperte ebenfalls in den Fairy Club. Letztlich kann man hier alles lernen, denke ich, also nur herein. Kiel ist überall. Setzt Euch erstmal da ins Eck. Die neuen Samtsofas kommen gleich. Tee oder Cocktails gibt es in Massen. Hier ist der Flügel, falls jemand spielen kann. Macht es Euch bequem.
Ich trinke Kaffee und stöbere weiter. Im Fenster leuchtet eine Lichterkette, deren kleine Birnen wie Eiswürfel aussehen. Gehört eigentlich in eine Bar. Ich sehe schon, ich sollte zur Selbstbespiegelung öfter die Statistiken lesen.
Plötzlich fallen mir eine Menge Worte ein, die typisch genug sind, dass Suchmaschinen bei ihrer Nennung schnurstracks zu mir rennen, wie Bluthunde. Wüstenszene zum Beispiel. Realitätsbaden. War alles schonmal da. Oder Clubsphäre, auch schön. Wieseltempo. Alkopopdosen. Proggerblogs. Meine Wortlust und mein Spieltrieb stürzen sich brüderlich auf das neue Suchmaschinenspiel. Jetzt ist aber Schluss mit dem Wortgehäcksel, denke ich. Es ist Zeit für ganze Sätze.
Einzig der Club für Sadisten beschäftigt mich noch etwas.

Glashäuser am Meer

Eine Fee in Stockholm hat Folgendes gekritzelt:
Hier sitze ich, vor einer Tasse Tee, einem Muffin, einem Haufen Schokolade, einer Thunfischdose und einer Elfkronenlasagne. Ich esse das Zeug, ganz langsam, und warte auf die Nacht.
Wenn ich das so schreibe, finde ich die Kombination selber eklig. Aber erst, seit ich es aufgeschrieben habe. Davor nicht. Ich sehe, dass neben meinem Fenster die Palmkätzchen aufgehen. Der Himmel ist bleigrau. Marilyn Manson singt irgendwas von der Geschwindigkeit des Schmerzes.
Ich beginne, das Blatt vor mir zu lieben. Ich beginne, die ganze scheinbar sinnlos totgewartete Zeit zu lieben. Worauf ich warte, mag jemand fragen. Auf die Nacht, ihr Ende, den Heimflug. Ich habe mich vollgesogen, eine Woche lang, bis über beide Ohren, mit Stockholm, Hafenpromenade, Spielplätze auf Södermalm, Eisschollen im Park, öffentlicher Nahverkehr, windige Ecken und Glashäuser am Meer. Jetzt habe ich genug und will nach Hause. Ich warte. Ich spüre, wie mein Kopf überfließt vor, ich will es ganz prosaisch nennen, Material. Fließt über, ein Kochtopf, der zu lange unbewacht auf der Hitze stand. Gleichzeitig explodiert auch mein Herz, herzzerreißend langsam, in einer Gischtwolke aus warmem Blut. Die Musik, jetzt Dredg, ist mit schuld. Für eine Weile tue ich gar nichts.
Später wickle ich meinen Schal um die Füße und hoffe, sie werden nicht kalt.