Regenplätschern

Ich lege das weißrote Kuvert gut sichtbar auf den Schreibtisch. Mein Fensterplatz im französischen Hochgeschwindigkeitszug ist gebucht. Ich mag ihn, den Meilenschlucker. Im August werde ich nachsehen, ob es Paris noch gibt, und nebenbei die beste Freundin wiedersehen, durch den Süden der Île-de-France spazieren, auf Englisch und Französisch die Abende verplaudern, meiner Amazonenfreundin wieder einmal beweisen, dass es mich gibt, und nicht nur die bunten Briefe, die Federn, die Postkarten. Ich trinke Chai Latte und schlafe vom Regenplätschern fast ein. Die Kapuzinerkresse nickt reichlich und mit orangefarbenen Blüten ums Eck, die Finken dagegen sind grün. Ich denke an Improvisationen, Shakespeare und den Kostümverleih des Naturtheaters, in dessen Tiefen ich morgen mitfischen werde. Außerdem an die Haut eines Mannes, an seine rausamtigen Bartküsse und an den Gin Basil Smash von gestern. Oder vorgestern. Oder so. Eins will mir nicht in den Kopf. Dass es Tage gibt, an denen ich weder die Welt retten kann, noch ein Wunderwerk schaffen, mir auch nicht das Herz herausreißen muss, sondern einfach ausruhe. Sie fühlt sich merkwürdig an, diese vogelzwitschernde Ruhe, so sehr ich sie brauchen mag. Sie fühlt sich merkwürdig an, bis ich in eine Bettdecke gewickelt den triefenden Wald betrachte, auf Pfefferminzblättern kaue und eine Amsel das alles liebenswürdig kommentiert. Ich lasse mich endlich fallen. Der Regen wird schwächer.